Bedauerlicherweise kam bei dem europäischsten aller Musiker des 19. Jahrhunderts bei der wissenschaftlichen Erschließung seiner Werke eine europäische Kooperation nur in Ansätzen zustande und zerbrach nach einiger Zeit wieder. Für das Werkverzeichnis konnte dank der Peter Klöckner-Stiftung für immerhin etliche Jahre eine namhafte Unterstützung geleistet werden. Einerseits finanzierte die Stiftung eine flankierende Mitarbeiterstelle in Budapest, ermöglichte zahlreiche Reisen zur Einsicht in die weit verstreuten Quellen und ergänzte in wünschenswerter Weise die Computerausstattung. Andererseits wertete die LisztArbeitsstelle in Regensburg, später in Weimar, die Briefe für das Werkverzeichnis aus und übermittelte die Daten nach Budapest. Das Unternehmen blieb eine Einbahnstraße, bis die Förderung vor Abschluss des Werkverzeichnisses auslief. Zudem trat eine gewisse Verunsicherung ein, seit sich sehr bald abzeichnete, dass ein zweites Team unabhängig von dem Budapester Projekt parallel dazu an der Vorbereitung eines Thematischen Verzeichnisses arbeitet. Und auch die Edition der Sämtlichen Schriften geriet nach dem Auslaufen der Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft ins Stocken. Die Bände 2, 7 und 8 liegen auf Halde; die abschließende Revision und Edition werden die vordringliche Aufgabe des Generalherausgebers für die nächsten Jahre werden.
Sehr unglücklich verliefen die Versuche der Kooperation von Budapest und Weimar mit dem Briefprojekt am Centre National de la Recherche Scientifique, das von einem einzigen Mitarbeiter bearbeitet wird. Nachdem das Projekt mit wohlwollenden Gutachten internationaler Lisztforscher bewilligt worden war, kam eine Zusammenarbeit nach der Besetzung der Stelle nicht zustande. Es geht bei Liszt um einen geschätzten Briefbestand von 12.000 bis 15.000 Briefen weltweit. Alle Versuche, zu einer Kooperation zu gelangen, scheiterten. Damit war die Chance für die Lisztforschung vertan, zu einem Austausch der Daten zu gelangen, der für alle vier Projekte erhebliche Synergieeffekte mit sich gebracht hätte.
So ist auch 125 Jahre nach seinem Tode das Werk von Franz Liszt, anders als das Œuvre von Ludwig van Beethoven, Hector Berlioz oder Felix Mendelssohn Bartholdy, auf elementarer Ebene wissenschaftlich nach wie vor nur unzureichend erschlossen. Angesichts der Tatsache, dass die Editionsphilologie der Musikergesamtausgaben inzwischen weltweit Maßstäbe gesetzt hat, bedauert man, dass diese Chancen für die Lisztforschung nur bedingt genutzt werden können. Nach dem Abschluss der Neuen Bach- und der Neuen Mozart-Ausgabe haben beide Projekte das gesamte Werk mit sämtlichen Originalquellen online verfügbar gemacht. Bei der Carl-Maria-von-Weber-Gesamtausgabe ist darüber hinaus geplant, mit interaktiven Systemen alle entscheidenden Briefquellen und zeitgenössischen Rezeptionsdokumente bereitzustellen und alle Lesarten und Varianten an den Handschriften und Drucken zu überprüfen, ja die betreffenden Stellen direkt abrufen zu können. Für die internationale Scientific Community wird diese Form der weltweit verfügbaren virtuellen Werkedition ein höchst wichtiges neues Medium sein. In einer Zeit, in der die Musik im Konzertsaal ihr Publikum zu verlieren droht, bildet dieser spielerische Zugang ohne Frage zugleich auch einen entscheidenden Anreiz, bei Jugendlichen das Interesse an der Sache, über die virtuelle Auseinandersetzung das Interesse am Original zu wecken. Das Beethoven-Haus Bonn hat gezeigt, welche neuen Möglichkeiten sich hier gleichermaßen für die Forschung wie für die Vermittlung von Musik eröffnen.
Bedauerlicherweise kranken alle großen Projekte der Lisztforschung an der personellen bzw. institutionellen Unterausstattung. Für die Grundlagenforschung bleibt dies ein Problem für die Zukunft. Mit externen Mitarbeitern kann man derartige Ausgaben heute nicht mehr betreiben.